Centro de Portugal: Genuss als Lebensphilosophie
Centro de Portugal ist bekannt für seine Küsten, stillen Lagunen, weißen Sandstrände und weltberühmten Surfspots. Das Landesinnere mit seinen sanften Hügeln, grünen Weinbergen und dem höchsten Gebirge, der Serra da Estrela, sowie einer exzellenten Küche ist mindestens genauso spannend. Das von der UNESCO zum Weltgeopark erklärte Bergland ist zudem das Land der Hirten, die hier seit Menschengedenken mit ihren Herden über karge Geröllhalden ziehen.
Sicher ist es den Entdeckungen der Seefahrer vor vielen Jahrhunderten zu verdanken, die die Küche des Landes heute so bereichern. Hinzu kommt der Takt der Natur, der aus dem Gebiet ein wahres Gourmet- und Weinparadies formte. Rund 20.000 Hektar stehen im Weinbaubereich Dão unter Reben und zählt damit zu den größten und zugleich ältesten Anbauregionen Portugals mit der kontrollierten Herkunftsbezeichnung DOC (Denominação de Origem Controlada). Benannt nach dem Fluss Dao liegt das Gebiet nördlich der Serra da Estrela und wird durch die Estrela-, Buçaco-, Nave- und Caramulo-Gebirge vor den feuchten Luftmassen vom Atlantik und der trockenen Luft aus Spanien relativ gut geschützt. Die Reben gedeihen zum überwiegenden Teil auf Granitböden und sind meist von Wald umgeben. Dies schafft ideale Bedingungen für den Weinbau. 156 registrierte Weingüter bewirtschaften die Fläche, die in teilweise winzige Parzellen gegliedert sind. Auch wenn die Wurzeln der Weingeschichte in Portugal einige Jahrhunderte zurückverfolgen lassen, so hat sich in den letzten Jahrzehnten eine regelrechte Weinszene entwickelt. Mit großem und internationalem Erfolg. Der Schwerpunkt liegt auf der Erzeugung von Rotweinen. Die besten Tropfen der Region werden aus den Sorten Alfrocheiro Preto, Aragonez, Jaen, Rufete und Touriga Nacional gekeltert.
Die Ursprünge der Granitstadt Viseu, dem Herzen des Weinbaugebiets Dão, reichen bis ins achte Jahrhundert zurück. Viele halten den Ort als die lebenswerteste Stadt Portugals. Tatsächlich, ein schmucker Ort mit einer imposanten Kathedrale als lebendiges Zeugnis verschiedener Epochen. Vom Dach aus genießen Besucher eine tolle Aussicht auf die Stadt. Die Kirche mit ihrer Rokoko-Fassade steht gegenüber der Kathedrale und stammt aus dem 18. Jahrhundert. Um die Ecke liegt befindet sich das Nationalmuseum Grão Vasco, Vasco Fernandes gewidmet, einem Malergenie des 16. Jahrhunderts. Schlendert man aufmerksam durch die kleinen Gassen, kann man gut erhaltene manuelinischen Fenster entdecken.
Etwas außerhalb der Stadt erreiche ich Santar, wo ich dem Konzept Santar Garden Village ganz nah komme. Im Jahr 2013 beschloss die Familie Vasconcellos und Sousa, Erben des Hauses der Grafen von Santar und Magalhães, ihr materielles und immaterielles Erbe mit einem Pionierprojekt in Portugal zu bewahren. Geschlossen wurde eine Partnerschaft mit anderen benachbarten Adelshäusern des Dorfes. Unter der Leitung des Landschaftsarchitekten Fernando Caruncho, Santar Vila Jardim wurden die herrschaftlichen Gärten und Anlagen der Herrenhäuser miteinander verbunden. Einige Mauern wurden mit Durchgängen versehen, andere mit Brücken versehen. Das Ziel: Die Identität der Landschaft zu stärken, bei einem Spaziergang (Eintritt 15 €) deren Geschichte, die Geschichte der Weine sowie die Erträge der vielfältigen Gärten zu entdecken: Die Anwesen von Casa dos Condes de Santar e Magalhães, Casa Ibérico Nogueira, Casa Hotel Valverde Santar, Solar de Nossa Senhora da Piedade und Casa da Magnólia, von denen Flaschen stammen, die die klangvollen Namen Condessa de Santar und Conde de Santar tragen.
Die Quinta da Teixuga, ein modernes Weingut mit 30 Hektar, liegt zwischen Vilar Seco Viseu und Nelas, im Herzen der Region Dão, nicht weit entfernt von Santar. Auch hier stehen Reben, soweit das Auge reicht. In den Weinbergen von Teixuga, die durchschnittlich 50 Jahre alt sind, wachsen die besten Rebsorten des Dão wie Touriga Nacional, Tinta Roriz, Jaen, Alfrocheiro, Malvasia-Fina, Encruzado und Bical. Eröffnet in 2017 werden hier jährlich ca. 400.000 Liter Wein produziert. Die Weine des Hauses ‚Caminhos Cruzados‘, dass der Region Dão eine neues, frisches und junges Image verleiht, zählt als der ‚Der neue Dão‘. Das Betonbauwerk kann für Weintastings und Kochevents gebucht werden. Miguel Vidal serviert uns Kostproben wie z.B. Estaladico, eine Teigtasche gefüllt mit Käse und Feigenmus, Rotweinsaucen und Nusssplitter. Ein Gedicht! Bei einem Glas ausgezeichnetem Reserva Tinto erklärt uns Luis Filipe, Wine Tourism Director, dass das Team der Quinta jährlich einen neuen Wein kreiert.
Die Familie Amorim der Quinta da Taboadella verdiente ihren Unterhalt ursprünglich einmal im Korkgeschäft. Heute besitzt sie die Weinkellerei Taboadella mit dem dazugehörigen Gästehaus Casa Villae 1255. Architektonisch besonders interessant ist der "Barrel Top Walk", ein Laufsteg über dem Fasslager, der aus recyceltem Holz aus heimischen Wäldern besteht und von dem man über die 41 Hektar umfassenden Weinberge blickt. Erwähnenswert sind die autochthonen Rebsorten des abgegrenzten Weinbaugebietes Dão, insbesondere Alfrocheiro, Encruzado, Jaen und Touriga-Nacional. Gruppen bis 19 Personen können das benachbarte Herrenhaus mit acht Schlafzimmern mit je eigenem Bad, mehrere Wohnzimmer, einer komplett ausgestatteten Küche sowie einem Weinkeller buchen. Auf Wunsch werden an der langen Tafel ein Brunch- oder Degustationsmenü serviert.
Wer in der Region ist, kommt an der Queijaria Vale da Estrela in Mangualde nicht vorbei. Sie steht für den besten Käse aus der Serra da Estrela. Dabei sind die Zutaten recht überschaubar: Rohmilch der Schafsrasse Bordaleira, Distelblüten und Salz. Worin liegt das Geheimnis der Rezeptur? Vielleicht ist es die Kost aus reiner Gebirgsvegetation der Serra de Estrela, die die Milch der Tiere und den daraus hergestellten Käse so einmalig macht. Oder die Weisheit der Käserinnen? Zunächst wird die Milch langsam erhitzt, weitere Pasteurisierungsschritte folgen bis der Käsebruch abgetropft wird. Geschickte, flinke Hände füllen die Masse in kleine Behälter. Nach 30 Tagen Kühlung ist der Käse DOP Serra da Estrela verzehrfertig, je länger er lagert, desto würziger wird er. Aus 400 Litern Milch entstehen 130 Käselaibe, je nach Reifegrad. Ich koste und zu Recht: pur oder mit einem Löffelchen Kürbismarmelade verfeinert – ein Gedicht!
Marta Domingos und ihr Hund Boneca begrüßen mich. Das Wetter erlaubt kurz vor Sonnenuntergang noch eine Jeeptour durch das Areal des The Vagar Country Mountain House nahe Belmonte. Vor einigen Jahren haben sie und ihr Mann André das Gelände erworben, auf dem sie nun ihr Lebenswerk kontinuierlich weiterentwickeln. Im Jeep geht’s los, bergauf. Denn das 245 Hektar große Gelände liegt in einer Bergregion. Über Stock und Stein, über von Furchen durchzogene Wege geht es rund 200 Höhenmeter hinauf. Wir steigen aus, klettern auf einen Felsen, ein Aussichtsplateau. 180 Grad Sicht auf die Serra de Estrela. Hier, auf 800 Metern Höhe, haben die Gäste von Marta Zeit, die Hektik des Alltags hinter sich zu lassen. Ein Picknickplatz mit Entschleunigungsgarantie. Der Natur ganz nah sein, das ist das Nachhaltigkeitskonzept der Mountain Suites, möglich ist hier vieles: Waldbaden, Spa & Meditation, Massage und eintägige Imkerkurse. Später, nach Sonnenuntergang, sitzen wir in ihrem Country House am Kamin, das brennende Holz im Kamin knistert, der dunkle Rotwein liegt schwer im Glas – getreu dem slow living-Motto.
Nahe der spanischen Grenze liegen 12 historische Dörfer, deren Bewohner über viele Generationen hinweg auf königlichen Befehl das Land besiedeln und befestigen mussten. Sportlich Aktive können diese auch per Rad oder zu Fuß über den GR22 erreichen. Über Aldeias Historicas de Portugal sind die Routen abrufbar, ebenso die Unterkünfte. Die große Route umfasst alle Dörfer mit 565 Kilometer. Die majestätische Burg von Sortelha thront auf einem Granitmassiv, umgeben von einer Mauer. Der mittelalterliche Grundriss wurde bis heute bewahrt hat, das Dorf innerhalb der Mauern dem abschüssigen Gelände angepasst. Im Jahr 2021 wurde das historische Dorf Castelo Rodrigo als eines der "Besten Tourismusdörfer" unter 170 Kandidaten aus 75 Ländern in der ersten Ausgabe der "Best Tourism Villages by UNWTO", einer Initiative der Welttourismusorganisation, ausgezeichnet. Die Auszeichnung stellt dar, dass der Tourismus eine positive Kraft für die ländliche Entwicklung und das Wohlergehen der Gemeinschaft sein kann.
von Susanne Reuter, November 2023