Wildnis im Atlantik: rau, entspannt und urtümlich
Vom Entschleunigen bis Bergwanderungen – der Naturfreund findet auf El Hierro ein Paradies, das touristisch kaum frequentiert ist
Meeresrauschen. Die Wellen brechen an der Steilküste. Die Gischt schäumt. Betrachtet man die Geografie der Insel, zeigt sich hier eine gigantische Senke, die Wände bis zu 1000 m Höhe hat. Die halbkreisförmige Caldera El Golfo entstand, so vermutet man, durch einen gewaltigen Erdrutsch. Teils über 100.000 Jahre alt wird das Material geschätzt, das vor der Küste am Meeresboden liegt. Für Geologen ist das jüngste Geschichte. El Hierro, ist die westlichste der Kanarischen Inseln, ca. 280 qkm groß, zählt die höchste Vulkandichte und ist mit ca. einer Millionen Jahre die jüngste Insel der Kanaren. 2011 spuckte zuletzt ein Vulkan unter Wasser, knapp zwei Kilometer vor der Südspitze der Insel, die optisch an einen hohen Schuh erinnert. Geologisch von unglaublichem Wert, wurde die Insel Jahr 2000 zum Biosphärenreservat erklärt und trägt zudem seit 2014 die Auszeichnung Geopark durch die Unesco.
In Las Puntas starten wir auf dem komfortabel ausgebauten ‚Sendero‘ entlang der steilen Felshänge. Links und rechts des Weges entlang kämpfen sich Tabaiba (Balsam-Wolfsmilch), Kleinie und Nymphendolden aus dem dunkelfarbigen Lavageröll. Zum Landesinneren hin begleiten uns zum Greifen nahe die Gebirgszüge des Risco de Tibataje. ‚La Maceta‘, das Naturschwimmbecken, erreichen wir nach etwa einer Stunde. Da die Meerwasserbecken über eine ausreichende Sicherung durch Treppen und Geländer verfügen, nutzen wir die Gelegenheit und erfrischen uns im ganzjährig um die 20 Grad warmen Meer.
Fotos: Chris Flechtner
Im Valle del Golfo selbst befinden sich die Obstplantagen, neben Ananas werden hier Papayas, Mangos und Bananen angebaut. Zudem wird El Hierro für seinen besonderen Weinanbau geschätzt: Die Herreno leben seit mehreren Jahrhunderten davon. Durch die harten Bedingungen des Anbaus und die schwer zu bewirtschaftenden Böden spricht man hier vom ‚heroischen Weinanbau‘. Vier Kriterien definieren den Begriff: ein Anbaugelände mit einem Gefälle von mehr als 30 Prozent, angelegt in Terrassenbauweise, höher als 500 Meter über die Meeresspiegel und auf einer kleinen Insel existierend. Alle Kriterien erfüllen die Weinanbaugebiete der Insel El Hierro, aus dem beispielsweise der vollmundige ‚Babosa Tinto‘ mit internationaler Prämierung hervorgeht.
Unweit entfernt befindet sich das Ecomuseum Guinea, das auf eindrucksvolle Weise das karge und unerbittliche Leben der Vergangenheit darstellt. Die einfache und schlichte Wohnweise wird in einigen Häusern des Museumsdorfes präsentiert. Nutzgärten in den Höfen lassen die Vergangenheit noch greifbarer werden. Erst in den 1950er Jahren gaben die letzten Bewohner das Dorf endgültig auf. Bis in die 60er Jahre wurde die Insel lediglich einmal wöchentlich mit dem Postschiff versorgt. Seit mehrmals täglich eine Fluganbindung besteht, nehmen Entwicklung und Tourismus langsam aber stetig zu.
Wir haben noch etwas Zeit und besuchen gleich nebenan das Forschungs- und Aufzuchtstation der Rieseneidechsen ‚Lagarto Gigante de la El Hierro‘, eine große urzeitliche Eidechsenart.
Juwelen der Berge
Die kleine, schneeweiße Wallfahrtskapelle Ermita Virgen de Los Reyes wird alle vier Jahre während der Bajada de la Virgen zum Mittelpunkt der Inselbewohner und ihren Gästen. Die Madonnenfigur, beherbergt in der Kapelle und Mitte des 16. Jahrhunderts von Seefahrern an die Insulaner als Dankesgeschenk für Verpflegung überreicht, wird alle vier Jahre begleitet von Trommelwirbel und Tanz über den Berggrat bis nach Valverde und wieder zurückgetragen. Um zu ihr zu gelangen, verlassen wir die im Westen gelegene die Küstenstraße und überwinden 700 Höhenmeter. Je höher wir kommen, desto grüner und üppiger wird die Vegetation in der sonst eher kargen Landschaft, Grasflächen werden sichtbar. Von hier aus führen Wanderwege durch das Gebiet La Dehesa in Richtung El Sabinar, dem Wacholderwald der Insel. Durch den permanenten Wind haben die einzelnen Exemplare, Sabinas genannt, bizarre Formen angenommen, wuchsen mit der Windrichtung und sind extrem verdreht. Zum Teil sind einzelne Bäume so verbogen, dass ihre Kronen den Boden berühren. Dieser Wuchs gilt als einzigartig und steht für eines der Wahrzeichen El Hierros. Die Wacholderbäume in Sabina sind der letzte ihrer Art auf der Insel, die anderen Wacholderbaumgebiete in anderen Regionen fielen dem Kahlschlag zum Opfer.
Der Wolkennebel in dieser halbfeuchten Zone begleitet unseren Weg, wir fühlen uns wie im Märchenwald. Tropfen fallen von den Flechten, die Baumstämme umwickeln. Fast gespenstisch treten die Sabinas vor uns auf und verschwinden hinter uns wieder. Eine perfekte Filmkulisse. Unseren Abstieg nehmen wir über die Route Richtung Nordwesten. Den Nebel lassen wir hinter uns, strahlender Sonnenschein empfängt uns. Der Wanderweg zieht sich durch kargen Lavaschotter mit Dickblattgewächsen, gut markiert und mit herrlichen Blicken Richtung Küste. Auf unserer Rückfahrt zur Unterkunft werfen wir noch einen Blick auf die Felsformation Arco de la Tosca, dem größten und mächtigen Felsentor beim Küstenabschnitt Punta de la Dehesa.
Fotos: Chris Flechtner
Wind und Wasser nutzen
Das Windwasserkraftwerk "Gorona del Viento" sollte die Kanareninsel El Hierro unabhängig von fossilen Energien machen. Dabei nutzt man die Pumpspeicher-Technik, mit der überschüssige Energie zwischen gespeichert werden kann. Fünf Windkraftanlagen mit insgesamt 11,5 Megawatt wurden dazu auf einem Bergrücken im Nordosten der Insel errichtet. Zusätzlich wurde ein 380.000 Kubikmeter fassendes oberes Wasserbecken zur Speicherung von Wasser für Bewässerungszwecke und für das Pumpspeicher-Kraftwerk gebaut. Bei Windenergieüberschuss kann Wasser aus dem Becken abgelassen werden, treibt dabei eine Turbine an und erzeugt so wieder Energie.
Nach Besichtigung dieser Anlage am nächsten Tag besteigen wir die Berge von östlicher Seite aus. Herrliche Feuchtwälder mit Gagelbäumen, Moosen und Farnen strahlen uns wie einladend in prächtigem Grün entgegen. Die Kanarenkiefer steht für ein äußerst beeindruckendes Exemplar, hochgewachsen und die einzige Baumart, die Feuer standhält. Ein Besuch beim ‚Garoé‘, dem Heiligen Baum, liegt auf dem Weg. Dieser Baum rettete die Bimbaches, die Ureinwohner El Hierros, vor dem Verdursten und versorgte die spanischen Eroberer mit dem Wasser, das von seinen Blättern tropfte. Dies geschieht, indem die Wolken an den Blättern kondensieren und das Wasser von diesen herabtropft. Dieses Phänomen lässt sich auf die sehr günstige geografische Lage dieser Stelle zurückführen. Bei einem Orkan im 17. Jahrhundert wurde der originale Garoé entwurzelt und an seiner Stelle ein Stinklorbeer-Baum gepflanzt.
Zurück auf dem Bergrücken weisen uns verschiedene Auszeichnungen den Weg, Wanderfreunde können die etwas über 13 km bis zum 1.501 Meter hohen Malpaso laufen. Dort angekommen, genießen wir eine tolle Aussicht auf die zerklüftete Südküste, die unberührt vor uns liegt. Weite Teile liegen hier unter Naturschutz.
Fotos: Chris Flechtner
Könnte César Manrique, der im Jahr 2019 hundert Jahre alt geworden wäre und auf El Hierro das Aussichtslokal La Pena mit dem atemberaubenden Panoramablick auf das Golfo-Tal konzipierte, sehen, wie nachhaltig El Hierro heute wirtschaftet, wie sauber die Insel ist und wie umsichtig mit der Natur umgegangen wird, wäre er mit der Entwicklung der Insel sehr zufrieden.
von Susanne Reuter, November 2019
Trip Tipps
Anreise z.B. mit Iberia über Madrid, Teneriffa. Fähre oder Flug nach El Hierro. Auf der Insel gibt es eingeschränkt öffentliche Verkehrsmittel. Flexibler ist man mit Mietwagen.
Beste Reisezeit: ganzjährig warm. Landschaft nach Trockenzeit karg. Im Frühjahr üppige und blühende Landschaften.
Outdoor boomt: Wer rundum aktiv sein möchte, kann mit Wikingerreisen feste Programme Wandern pur oder Trekking quer über die Insel buchen. www.wikinger-reisen.de
Sportarten: Yoga, Wandern, Mountainbike, Paragliden und Tauchen.
Weitere Informationen: Spanisches Fremdenverkehrsamt, Frankfurt, www.spain.info/de