Stockholm – Venedig des Nordens
Lange bevor Nachhaltigkeit zu einem wichtigen Verkaufsargument für den Tourismus wurde, ernannte die EU-Kommission 2010 Stockholm zur Grünen Hauptstadt Europas. Nicht ohne Stolz ist die Stadt diesem vorbildlichen Nachhaltigkeitsansatz bis heute treu geblieben. Und seitdem ist auch weiterhin viel passiert. Mit aller Kraft wird daran gearbeitet, jeden Tag ein bisschen besser zu werden. Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung als globale Initiative wird auf lokaler Ebene umgesetzt und die Stadt Stockholm hat sich verpflichtet, bei der Umsetzung der Agenda eine Führungsrolle zu übernehmen. 100 % der Energie, die von den eigenen Betrieben der Stadt Stockholm verbraucht wird, stammt aus erneuerbaren Quellen. Der komplette Fuhrpark der SL-Busse fährt mit Kraftstoff aus erneuerbaren Quellen. Wer mit dem Elektroauto in Stockholm unterwegs ist, kann dieses häufig in Garagen und an Besucherparkplätzen der Stadt kostenlos aufladen. Zudem arbeiten viele Taxiunternehmen an einer nachhaltigen Zukunft, 95 % der Fahrzeugflotte ist umweltzertifiziert. 99 % der Festabfälle Stockholms werden recycelt. Fast 80 % aller Hotels in der Stadt sind von unabhängigen Zertifizierungsstellen für Nachhaltigkeit akkreditiert. Stockholm hat eines der saubersten und schmackhaftesten Leitungswasser der Welt. Jeder ist willkommen, über eine App Störungsmeldungen, Reklamationen oder Ideen zu melden, damit Abhilfe oder Lösungen möglich werden. Arlanda, der Stockholmer Flughafen, ist nach ISO14001 zertifiziert. Die Stadt hat das Ziel, bis 2040 ohne fossile Brennstoffe auszukommen. Seit dem 1. September 2022 bietet die Schwedische Bahn SJ siebenmal wöchentlich einen neuen Direktzug zwischen Deutschland und Schweden an, der nachts fährt. Abends Abfahrt in Hamburg, morgens Ankunft in Stockholm. Und zurück natürlich genauso, abends weg in Stockholm, morgens wieder zurück in Hamburg. Klasse für eine Kennenlerntour! Ganz aktuell in 2022 hat die schwedische Hauptstadt ein neues elektrisches Leihfahrradsystem eingeführt und in neue eBikes investiert. Mit diesem Service wird nachhaltiges Reisen, Mobilität und Gesundheit gefördert. Das Wetter passt und so entscheide ich mich nach Ankunft für das Fahrrad, um die Stadt zu erkunden.
Und schnell stelle ich fest: Schwedens Hauptstadt ist wow! Modern, mondän, alternativ, hip, erhaben, gemütlich, königlich, cool, elegant, grün, jung, kreativ, voller Museen, Restaurants mit regionaler Küche, Bars, Cafés und Shops. Mich empfängt eine gute Mischung aus königlicher Tradition, die verpflichtet und modernem Leben. Mitten in Gamla Stan, der Altstadt, stehen historische Kaufmanns- und Gilden und Bürgerhäuser aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Das Fahrrad stellt man hier besser irgendwo ab, um ungehindert durch die engen Gassen schlendern zu können. Auf dieser Altstadtinsel reihen sich unendlich viele kleine Geschäfte, die allerlei Kurioses und Antikes anbieten, Kneipen und Kaffeehäuser aneinander. Markant durch seinen Backsteinbau und hohen Glockenturm ist Storkyrkan. Die fünfschiffige Hallenkirche ist das älteste erhaltene Gebäude der Stadt, hier wurden und werden die schwedischen Könige getauft und getraut. Und gleich dahinter das mächtige königliche Schloss Kungliga Slottet. Wer zeitig mittags dort ist, kann sich einen guten Platz ergattern und dem Wechsel der Ehrengarde vor dem Tor beiwohnen. Die Schlossanlage im italienischen Renaissance- und Barockstil umfasst 608 Zimmer. Teile sind für Besucher zugänglich. Und gleich nebenan befindet sich der Reichstag, in dem das schwedische Parlament tagt.
In einem weiteren prächtigen Bau befindet sich das Nobelmuseum, prall gefüllt mit Wissenswertem über den Nobelpreis, Alfred Nobel und die Nobelpreisträger von 1901 bis heute. Jährlich am 10. Dezember finden in Stockholm die Nobelpreisverleihungen in Physik, Chemie und Wirtschaftswissenschaften, Physiologie oder Medizin sowie Literatur statt. Das Nobel-Bankett gehört zu den wichtigsten Veranstaltungen rund um die Nobelpreisverleihung mit rund 1.300 geladenen Gästen aus Wissenschaft, Kultur, Politik, Diplomaten und Mitglieder des schwedischen Königshauses. Seit 1974 findet es im sog. Blauen Saal des Stockholmer Rathauses, dem Stadshuset. statt. Direkt am Mälaren-See gelegen, ist das Wahrzeichen der Stadt schon aus der Ferne erkennbar. Neben der wunderschönen Blauen Halle, einem überdachten, marmorgepflasterten und Arkadengängen im Innenhof übertrifft die gewaltige Goldene Halle bestehend aus 19 Millionen goldenen Mosaiksteinen, die schwedische Geschichte schreiben, jegliche Vorstellung, die man sonst von einem Rathaus hat.
Südlich von Gamla Stan liegt die Insel Södermalm. Früher einmal ein klassisches Arbeiterviertel, gehört ‚Söder’ heute zu einem bunten und alternativen Stadtteil. Hier befindet sich das Fotografiska Museum, das Zentrum für zeitgenössische Fotografie. Und oben im Café ein toller Blick auf die Stadt. Im östlichen Teil SoFo (South of Foklungsgatan), ähnlich wie SoHo aus USA, das schwedische Hippviertel. Und wenn man sie sonst nur noch aus Kinofilmen kennt, hier gibt es sie noch, die leicht verwilderten Buchhandlungen.
Zurück in Östermalm empfängt mich der Blick auf prächtige Häuser, die die Uferpromenade am Strandvägen säumen. Anstatt enger, verwinkelter Gassen finde ich hier breite Straßen, große Hotels, teure Boutiquen und jede Menge Restaurants und Bars. Von hier aus starten auch viele Ausflugsschiffe. Über ausgewiesene Radlerwege fahre ich noch etwas weiter und erreiche Brunkebergs Torg, wo sich das SUS – Stockholm Under Stjärnorna (Stockholm unter den Sternen) befindet. Man darf in den 13. Stock fahren und auf der 1200 qm großen Dachterrasse einen 360 Grad Blick über die Stadt genießen. Mehrere Bars stehen zur Auswahl, um einen Drink zu nehmen auf dem Dach der Musik zu lauschen. Noch etwas weiter nördlich, beginnend im Stadtteil Vasastaden, befindet sich die Staatsbibliothek in einem Zylinder-Bau. Eine Treppe führt Stockwerk für Stockwerk hinauf, an den Wänden reihen sich die Bücherregale. Die Bibliothek wurde schon einmal als schönste Bibliothek der Welt tituliert.
Wer die U-Bahn (T = Tunnelbanen) nimmt, bekommt an über 90 Stationen das Gefühl, durch ein Kunstmuseum zu fahren. Deshalb bezeichnet sich die Stadt selbst als längste Kunstgalerie der Welt. Geschaffen wurden sie, weil die Röhren tief unten liegen und in der Dunkelheit eine ansprechende Atmosphäre geschaffen werden sollte. Eine kostenfreie Art Walk App unterstützt Jedermann, der auf eigene Faust die schönsten Plätze aufsuchen möchte.
Royale Stimmung umgibt mich an der Skeppsholmen Brücke. Mitten auf der Brücke, an der goldenen Krone mit Blick auf das Schloss sowie der Altstadt kann ich das Motiv besonders gut einfangen. Weiter über diese Brücke gelange ich auf die Insel Skeppsholmen, die bis 1969 Stützpunkt der schwedischen Marine und der Öffentlichkeit nicht zugänglich war. Hier liegt auch das außergewöhnliche Hostel, das Segelschiff AF Chapman aus dem 19. Jahrhundert.
Kultur wird in Schwedens Hauptstadt großgeschrieben, sie gehört zu den Städten mit der höchsten Museumsdichte. Geballt befinden sie sich in Djurgarden, wie beispielsweise das weltweit bekannte ABBA-Museum, das spannende Vasa Museum, das Freilichtmuseum Skansen und das Vrak Museum, um nur einige zu nennen.
Ohne sie wäre Stockholm nur die Hälfte und stellen einen besonderen Teil der Umgebung dar: der Stockholmer Schärengarten. Er besteht aus ungefähr 24 000 Inseln. Es gibt die inneren Schären im Mälaren See und die äußeren Schären in der Ostsee. In ca 30 Minuten ab Östermalm ist beispielsweise Fjäderholmarna zu erreichen. Die Kulisse der kleinen Insel mit rotweißen Holzhäusern, Segelbooten und kleinen Wäldern ist fern der Großstadt. Baden bei schönem Wetter und in Ruhe ein Buch lesen, Entspannung bei einem Kaffee oder Tee oder einfach nur den Sonnenuntergang beobachten. Hier bin ich genau richtig, die Eindrücke der Stadt nachwirken zu lassen.
von Susanne Reuter, September 2022