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Nordsee - Watt'n Blick 


Perlen der Nordsee: Die längsten Strände und schönsten Leuchttürme


Ich stehe in Schleswig-Holstein im weltweit größten zusammenhängenden Watt, das von Dänemark bis in die Niederlande reicht. Der Wind weht, es ist frisch, die Luft klar, die Sonne grüßt zwischen den Wolken hindurch. Ich traue mich barfuß zu gehen. „Warum können wir hier im Watt stehen“? fragt mich die 21 Jahre junge Ally Rose Fiedler, Nationalparkbetreuerin der Schutzstation Wattenmeer, die dort ihr freiwilliges, ökologisches Jahr macht und deren Leidenschaft für die Nordseeküste durch alle Poren dringt. Ich stehe mit ihr am Südstrand von St. Peter-Ording, wir haben Ebbe und stehen auf dem matschigen Meeresgrund. Spontan fällt mir das Zusammenspiel von Erde und Mond als Grund für die Gezeiten ein. Ally bestätigt und vertieft noch etwas: „Der Mond zieht das Wasser unseres Planeten durch die Wirkung der Gravitationskräfte an. Dadurch entstehen regelmäßig wiederkehrende Wasserbewegungen der Ozeane. Alle sechs Stunden wechseln sich damit Ebbe und Flut ab“. Da diese Tatsache auch mal schnell zu einer Gefahr werden kann, bin ich mit einer geführten Wattwanderung auf der sicheren Seite. Ally erklärt weiter: „Der Queller mit seinem Salzbedarf ist ein wahrer Überlebenskünstler hier im Wattenmeer, das zu den letzten intakten Wildnisgebieten Europas zählt“. Um aus dem salzigen Schlick Wasser aufnehmen zu können, muss der Queller eine enorme Saugkraft aufbringen. Dadurch reichert sich immer mehr Salz an. Die Pflanze muss im Verlauf den Wassergehalt erhöhen, um das Salz zu neutralisieren. Und so schaut der Queller aus wie ein kleiner Kaktus. Ende Oktober stirbt er ab, seine Samen überstehen die Winterzeit. Feinschmecker bezeichnen die nur im Mai erntebaren Spitzen als Delikatesse im Salat oder als Gemüse.






An einem flachen Priel angekommen, ziehen wir mit einem Sieb über den Boden und schauen, was sich sammeln lässt. Nicht ganz so spontan suche ich meine rudimentären Kenntnisse über das Leben im Watt zusammen und schließlich zählen wir zusammen die ‚Small Five‘ auf: den Wattwurm, die Herzmuschel, die Strandkrabbe, die Wattschnecke und die Nordseegarnele. In dieser besonderen und vielfältigen Natur des Wattenmeeres an der norddeutschen Küste sind mehr als 10.000 Tiere beheimatet. Im Jahr 2009 hat die UNESCO diese einzigartige Naturlandschaft mit der außergewöhnlichen Artenvielfalt zum Weltnaturerbe erklärt.
Größte Sandkiste Europas
Zwölf Kilometer lang und bis zu zwei Kilometer an der breitesten Stelle, dazu feinster Sand machen die westliche Spitze der Halbinsel Eiderstedt zum Strand- und Badeparadies. An schönen Sommertagen finden sich hier in St. Peter-Ording bis zu 35.000 Menschen ein. Die Zahl der Übernachtungen lag im Jahr 2021 bei 2,5 Millionen. Die Orts- und damit auch Strandteile heißen Ording, Bad, Dorf und Böhl und zeichnen sich durch eigene Charaktere aus. Nils Stauch, Fachbereichsleitung Strände der Tourismus-Zentrale St. Peter-Ording berichtet mir: ‚Ording ist der größte und beliebteste Strand, hält jede Menge Sportangebote bereit und verfügt über ein Eventgelände für Großveranstaltungen. FKK-Fans finden ihren Platz in Ording Nord und wiederum nördlich davon können Hundebesitzer können ihre Vierbeiner laufen lassen“. Ein Seebrückenspaziergang ist ein Muss am Strand von Bad. Auf einem langen Holzsteg laufe ich über die Salzwiesen und fühle mich, als würde ich dem Horizont entgegen schreiten. Dem Meer immer näherkommend, rückt die Sonne jede Kleinigkeit ins richtige Licht, wie in einem Film. ‚Der kleinste Strand liegt in Dorf und ein Besuch dort macht nur bei Hochwasser Sinn, bei Ebbe findet man dort das Watt“, führt Stauch weiter aus. „Der Strand in Böhl ist sehr passend für Familien mit kleinen Kindern, bei Flut ist das Wasser dort flach. Zudem nutzen die Reiter die Gegend für Ausritte am Strand“.
So wechselseitig wie die Strände spielt sich das Leben in den jeweiligen Ortsteilen ab. Im Ort Bad befindet sich neben dem Erlebnisbad Dünen-Therme, dem Gesundheits- und Wellnesszentrum ein kleines Kino, das Dünen-Hus für Veranstaltungen sowie das Nationalpark-Haus, ein interaktives Begegnungszentrum der Schutzstation Wattenmeer für Schietwetter-Tage. Zwischen Strand, Salzwiesen und Ort zieht sich eine hübsch und aufwändig angelegte Erlebnis-Promenade, an deren Ende in 2023 der ‚Familientreffpunkt‘ fertiggestellt wird. Der entstehende Pfahlbau bietet naturnahe Rastplätze, Aussichtsplattformen, Liegewiesen sowie mehrere Themenspielplätze. Besonders hübsch anzusehen ist der Ortsteil Dorf mit seinen liebevoll gestalteten kleinen Geschäften und Cafés. Dort finde ich auch die Bronzefiguren Jan und Gret, die das mühsame Fischerleben von früher symbolisieren.






Die ländliche Idylle der Halbinsel Eiderstedt
Nun zieht es mich auf das Umland hinaus, die Halbinsel Eiderstedt mit ihren 14 ländlichen Dörfern, kann ich hervorragend mit dem Fahrrad erkunden. Das 650 km lange Radwegenetz auf der Halbinsel kann sich blicken lassen. Zwölf ausgeschilderte Fahrradtouren starten ab St. Peter-Ording. Es sind nicht nur die kleinen Kirchen –insgesamt 18- die alle über 800 Jahre alt sind. Hier entdecke ich Haubarge. Das sind typische Bauernhäuser oder Wirtschaftshäuser aus dem späten 16. Jahrhundert, in dem Mensch und Tier unter einem Dach lebten. Diese Ständerbauten waren widerstandsfähig gegen Naturgewalten, insbesondere Stürme. Selbst wenn eine Sturmflut die Mauern eindrückte, blieb die Grundstruktur des Hauses unbeschädigt. Auf einer Zwischendecke wurde das Heu gelagert. Die ehemalige Halligwarft Stufhusen wurde im 12. Jahrhundert eingedeicht und ist der wohl noch am besten erhaltene ehemalige Haubarg im Privatbesitz, der gemietet werden kann. Der ‚Rote Haubarg‘ nahe Witzwort, der übrigens nicht rot, sondern weiß ist, kann besichtigt werden. Im Museum kann der Besucher viel über das frühere Leben auf dem Haubarg erfahren.


Watt’n Blick
Nicht zu übersehen und einer der bekanntesten Leuchttürme Deutschlands und Wahrzeichen der Region ist der Westerhever Leuchtturm. Ich erreiche ihn über einen Zugang durch die Salzwiesen. Bevor es hoch hinauf geht, erfahre ich zunächst von Jürgen Birkigt, der die Führung leitet, dass der Strandfliederspitzmauskäfer wieder da ist. Neben dem Leuchtturm wurde ein Gebiet abgegrenzt, in dem sich die Natur ungestört entwickeln sollte. Der eigentlich nur auf den Halligen vorkommende, gerade mal 3 mm große Käfer, der zur Fortpflanzung die freiliegenden Wurzeln des geschützten Strandflieders benötigt, fand damit auf dem Festland eine neue Heimat. Ich freu mich mit ihm und wir betreten den 115 Meter hohen Turm, der auf 127 dicken langen Pfählen und Betonsockel errichtet wurde. 1908 wurde das Leuchtfeuer in Betrieb genommen und ist bis heute ein See-, Quermarken- und Leitfeuer. Bis in die 70er Jahre verrichtete der Leuchtfeuerwärter dort seinen Dienst. Heute wird er automatisch von Tönning aus überwacht.


von Susanne Reuter, Mai 2022